Roommates in the 60ies

Die älteren Damen haben es einfach mit mir. Da fragt man einmal ganz nett, wie es Ihnen geht und schon ist man gefangen in ihrem Netz aus Geschichten. Man versucht sie immer wieder ganz freundlich zu unterbrechen, wenn man mal eben nach anderen Gästen sehen muss oder ein Kollege schon seit fünf Minuten wartet, um etwas zu sagen, aber es funktioniert nicht immer.

Und das ist gut so!

Sonst hätte ich diese Geschichte verpasst:

Eine Frau Mitte sechzig kommt in meine Nachmittags-Bar und bestellt einen Kaffee, erzählt mir direkt, dass sie auf jemanden wartet und sie erst dann Essen bestellt. Und als sie dann nach Snacks fragt, gebe ich ihr die Karte und sie fragt bei jedem Gericht genau nach und schon bin ich in ihrem Redestrudel gefangen.

Sie hat einen Sohn hier in Exeter, will ihn aber nicht mit ihrer Anwesenheit belasten und übernachtet deswegen in unserem Hotel. In den sechzigern hat sie auch hier gewohnt. In einer WG mit einer damals guten Freundin, aber wie das so passiert, verliert man sich mit der Zeit aus den Augen. Jeder hat sein eigenes Leben, zieht um, heiratet, bekommt Kinder und hat plötzlich ganz andre Sorgen als mit einer Studienkollegin befreundet zu bleiben.

Aber nach einigen Jahren und dank Facebook finden sich die beiden wieder und nach einigen Nachrichten beschließen sie, sich zu treffen. In unserem Hotel. An dem Tag, den ich gerade beschreibe.

sixties

Quelle

Es muss wirklich spannend gewesen sein, in den sechzigern gelebt zu haben. Sie hatten sich nämlich den kompletten Nachmittag etwas zu erzählen und als ihr Sohn kam, um sie abzuholen, ging alles von vorne los. Ich verabschiedete mich am Ende meiner Schicht ganz freundlich und der Sohn sagte nur: Ohje, sag bloß du musstest dir das auch alles anhören?

Oh nein, oh nein, oh nein!

Ich war gestern zu beschäftigt mit putzen, weil Steves Mutter das Wochenende über weg war und heute ein Immobilienmakler kommt, um das Haus zu schätzen – vielleicht ziehen wir demnächst um (bleiben aber in der Gegend um Exeter) und habe meinen Blog vergessen!!! Jetzt habe ich so lange durchgehalten und täglich etwas gepostet, aber in letzter Zeit kam ich nicht dazu „vorzuarbeiten“ und das hat mir jetzt das Genick gebrochen… naja. Dann müsst ihr heute eben zwei Sachen lesen. Die zweite Sache wird übrigens eine neue Kategorie – ihr dürft etwas lernen 😉

Heute will ich mich mal bei meiner Mama bedanken. Wir haben uns nämlich gestern zum ersten Mal seit Wochen wieder gesehen (nur über Skype) und es war gar nicht komisch und ich bekam keinerlei Vorwürfe. Es ließ sich einfach nicht anders einrichten. Ich bin in letzter Zeit immer in der Abendschicht und deswegen gilt für meine Mama das gleiche wie für meinen Steve. Er/Sie kommt heim – ich gehe zur Arbeit. Bisschen doof, aber gestern hat es ja wieder geklappt. Es ist schon komisch, dass das Leben „zu Hause“ in Deutschland auch weitergeht. Manchmal habe ich das Gefühl nur meine Welt dreht sich weiter und verändert sich und alles andere bleibt beständig. Aber auch daheim ändern sich Dinge. Die Nachbarstochter, mit der ich aufgewachsen bin, hat letzter Jahr geheiratet und bekommt im August ihr erstes Kind. Freundinnen schließen ihr Studium ab und beginnen zu arbeiten. Beziehungen beginnen und hören auf. Wirklich komisch.

Hier im Hotel ändert sich auch einiges. Man dachte, nach den ganzen Kündigungen und Neuanfängen wäre jetzt mal wieder Ruhe angesagt, aber jetzt hat eine Supervisorin gekündigt und ich wollte ihren Job. Klar, ich gehe Ende September, aber ich bin die älteste Full-timerin (alle anderen sind unter 21) und überraschenderweise bin ich eine, die am längsten da ist. Wie gesagt: viele Kündigungen. Die einzige Chance hätte noch die Teamleaderin (die, wie ich glaube, einfach nur mit diesem Titel zufriedengestellt wurde, denn wirklich andere Aufgaben hat sie nicht), aber wenn sie Supervisorin wird, bräuchte man ja eine andere Teamleaderin – mich. Auch wenn ich nicht mehr Verantwortung etc. hätte, es macht sich gut in meinem Abschlusszeugnis.

Privat tut sich bei meinen Kollegen auch einiges. Eine trennt sich und kann nicht aus dem gemeinsamen Haus ausziehen, weil sich der Exfreund dann die Miete nicht leisten könnte. Also zahlt sie beide Mieten. Sie ist einfach viel zu nett. Und die andere Kollegin steckt grad mitten in einer Trennung – wenn der Freund nicht versteht, dass man sich in ein paar Monaten Ausland verändert und neue Interessen entwickelt und gern hätte, dass der Freund diese neue Heimat kennenlernt und er nicht will – selbst schuld. Eine weitere war verlobt – und wohnt jetzt im Hotel im obersten Stock. Getrennt. Weil sie sich für einen anderen interessiert und gemerkt hat, dass dann der Verlobte wohl nicht das Richtige ist. Eine weitere ist auf dem gefühlt 20. Date und sie machen nichts klar. Eine weitere ist mit ihrem Typi zusammen, dann nicht, zusammen, dann nicht. Alter der beiden: 19, gefühlte 12. Zum Glück kann man bei der Hotelarbeit gut reden und arbeiten gleichzeitig, sonst käme ja keiner zu etwas, bei dem ganzen Tratsch!

Wir haben auch einen neuen Operative Manager, d.h. einen Mann (Inder um die 40), der eigentlich das Hotel leitet, alles organisiert und den Überblick hat – dann aber den eigentlichen Manager (für das Bild nach außen) über die wichtigsten Sachen informiert. Der Mann mit Plan informiert den ohne.

Hals- und Schulterbruch

Kapitel 2

Hals- und Schulterbruch

Es war einmal eine ältere Dame, die sich in Deutschland sehr wohl fühlte. Trotzdem dachte sie sich eines Tages: „Ich will mehr sehen!“ und buchte kurzer Hand eine geführte Tour durch England. „Die Gegend da ist so schön!“, sagte sie zu sich selbst. „Ich kenne Cornwall ja aus den Rosamunde Pilcher Filmen. So schön grün und weitläufig! Da will ich hin!“

Einige Monate später ging es dann auch schon los und nach einer Bustour durch London, ging es weiter ins Rougemont Hotel nach Exeter. Dort fühlte sie sich ganz besonders gut aufgehoben, da eine der Angestellten deutsch spricht und sich deswegen perfekt um alle Anliegen kümmern konnte.

Eines Morgens beim Haarewaschen in der Dusche rutschte sie aus und stieß sich die Schulter an der Kante der Badewanne: „Aua! Das tut verdammt weh… HILFE! HILFE! Hört mich denn keiner?!“

Sie kam nur sehr schwer auf die Beine und ihr rechter Arm schmerzte höllisch. Unbekleidet öffnete sie dir Tür und hoffte auf eine Person im Gang, die ihr irgendwie weiterhelfen konnte. Zum Glück kontrollierte genau zu diesem Zeitpunkt die junge Chefin vom Putzdienst die Gänge, um nach bereits leeren Zimmern Ausschau zu halten.

„How can I help you?“, fragte sie besorgt, denn es musste ja schon etwas passieren, dass ein Gast sich freiwillig splitterfasernackt auf dem Gang blicken lässt. Obwohl diese Dame auch noch nicht viel Sonne gesehen hatte, schien sie trotzdem extra blass um die Nase zu sein.

„Ich bin ausgerutscht. In der Dusche.“, versuchte sie ihr Glück auf Deutsch.

„Sorry I don’t speak German, could you try it in English, please? What happened?“

„Nein ich kann das nicht. Wie soll ich das auf Englisch erklären?!“

Fragende hilflose Blicke.

„Carolina?“

„Shall I bring her upstairs? I think she is doing breakfast this morning.“

„Yes please.“

Einige Minuten später fand sich dann die Rettung ein. Die deutschsprachige Angestellte ließ sich die Umstände erklären und übersetzte sie fleißig. Kurze Zeit später war der Notarzt am Telefon und es wurde abgeklärt, was der Dame fehlt. Leider ist es schwer zu erkennen, ob eine Schulter geschwollen ist, wenn die Person generell nicht die schlankste ist. Und die Haut einer unter Schock stehenden Person ist ebenfalls leicht verfärbt und deswegen wäre eine Blau- oder Grünfärbung schwerer auszumachen. Es hieß dann: bringen Sie sie ins Krankenhaus, ok? Und aus Reflex sagte Carolina: Ok. Warum sollten sie es auch sonst anbieten, wenn es nicht normal wäre?

Die Deutsche benötigte dann Hilfe beim Anziehen und Haare trocknen und das ist natürlich selbstverständlich für unsere zuvorkommende Carolina. Dieses Mal wurde sie für ihre zusätzlichen Dienste auch mit 5 Pfund entlohnt. Immerhin.

Das Ende vom Lied: die bemitleidenswerte Dame musste alleine (ich durfte ja nicht von der Arbeit weg) in einem englischen Krankenhaus sitzen und bekam letztendlich mitgeteilt, dass sie eine gebrochene Schulter hätte. Zum Glück war der Tag danach eh schon Abreise angesagt.

Was mich glücklich macht …

Keine Angst, das wird keine neue Liebesbekundung an meinen Freund. Auch wenn er mich immer noch unheimlich glücklich macht und ich nichts zu beschweren habe (außer das Rauchen vielleicht – oder sicher).

Ich wurde namentlich erwähnt. Zwar mein englischer Name – aber hey! Es bin definitiv ich gemeint und dafür bekam ich ein well done von meinem obersten Boss, der mich wegen dem Ceasar Salad zur Schnecke gemacht hat (Volle Geschichte hier: https://carosphotos.wordpress.com/2016/05/21/stressig-vs-langweilig/). Und keiner will eine Schnecke im Salat..

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Ich erinnere mich an diese Gäste: Mutter, Vater, zwei super niedliche Töchter. Sie aßen bei mir in der Bar und nachdem die Töchter eingeschlafen waren, kamen die Eltern nochmal zu mir und tranken ordentlich. Immerhin war am nächsten Tag eine Hochzeit und wann haben sie schon einmal Zeit für sich? Super nette Menschen und ich ermöglichte den Töchtern eine einmalige Erfahrung zu machen: sie durften mir eine Limo machen, indem sie auf einen Knopf drückten. Okay, ein paar Eiswürfel und Zitronenscheiben gehörten auch dazu, aber manchmal machen es eben die kleinen Dinge aus.

Danke für die Aussage: she’s a credit to your hotel, was soviel heißt wie: sie ist ein Schatz!

Allergie Anhang

Nach der Geschichte gestern noch ein kleiner Anhang:

Ich habe vor Kurzem erst eine Grafik gesehen, die aufzeigt, wie sich die Menüzusammenstellung beispielsweise für eine Hochzeit in den letzten Jahren geändert hat:

Vor zehn Jahren gab es Hühnchen und Fisch. War man damals schon Vegetarier musste man eben nur Beilagen essen.

Vor fünf Jahren gab es dann immerhin schon eine vegetarische Alternative – auf manchen Hochzeiten.

Heut zu Tage gibt es: Glutenfrei für Onkel Theo, der sich trotzdem jeden Keks in den Mund steckt, den er findet. Lactosefrei für die kleine Susi, deren Eltern vermuten, sie wäre vielleicht gegen Milch allergisch, weil das haben ja grad alle Kinder. Auf den Schildchen am Buffet stehen spezielle Anmerkungen, ob das Essen in irgendeiner Art und Weise Nüsse enthalten könnte, die bei Oma Trudl zu Bauchschmerzen führen und für das alternative Pärchen Anna und Peter gibt es vegane Speisen. Vorsichtshalber wurde das vegetarische direkt zum voll-veganen umgemünzt – spart man sich immerhin eine extra Mahlzeit! Zuckerreduziert brauchen wir dann aber noch für Tante Lulu, die Diabetikerin. Dann kommen natürlich noch die ganzen: darf ich essen, mag ich aber nicht, also sag ich ich bin allergisch dagegen – Leute. Und die: könnte ich Bratkartoffeln statt Rosmarinkartoffeln dazu haben?

Deswegen gibt es auf meiner Hochzeit einfach nur Kartoffeln. Die mag jeder. Und ich ganz besonders.